Die Bevölkerung von Schierling und Umgebung war Ende April 1945 der wohl größten Gefahr in ihrer Geschichte ausgesetzt. Aus Dankbarkeit, dass alles gut ausgegangen ist, haben die Verantwortlichen mit Zustimmung der Bevölkerung damals ein Gelübde gemacht. Das Gelübde wurde aktuell nicht mehr verlängert, doch der Marktgemeinderat Schierling war sich im April 2021 einig, dass das Erinnern und Gedenken, insbesondere die Dankbarkeit, trotzdem nicht enden dürfen.

Erinnert wird daran, dass damals in der nahegelegenen ehemaligen Luftmunitionsanstalt etwa 6000 Tonnen Giftkampfstoffe offen gelagert waren. Gedacht wird aller Menschen, die vor 77 Jahren in Angst und Schrecken waren, die sich um ihre Angehörigen gesorgt, und um ihre Heimat - Schierling und Umgebung - gebangt haben. Es wird derer gedacht, die um ihre toten Söhne getrauert oder auf die Rückkehr der Vermissten gehofft haben. Gedacht wird auch all jener, die zu dieser Zeit in Kriegsgefangenschaft in vielen Teilen Europas noch Jahre eingesperrt waren, aber auch der Vertriebenen und Flüchtlinge, die fern ihrer Heimat eine neue Bleibe suchten und oft nichts von ihren nächsten Angehörigen wussten. Schließlich werden nicht diejenigen vergessen, welche in Konzentrationslagern und Tötungsanstalten der Nazis umkamen oder noch rechtzeitig daraus befreit werden konnten.
Als es im Osten immer gefährlicher wurde, verteilte man ab 1944 die Bestände aus den Giftgas-Lagerstätten in ganz Deutschland. Nach Schierling kamen aus Lagern im besetzten Polen und Ostpreußen die sogenannten Spitzenkampfstoffe Tabun und Sarin. In der Muna wurden die Bunker von der normalen Munition geräumt und mit diesen Giftbomben befüllt. Weil die Bunker nicht ausreichten, wurde wohl knapp die Hälfte im Freien gestapelt. Die Bevölkerung im Schierlinger Umland - bis in die Regionen Regensburg und Landshut hinein - wäre den Nervengiften bei einer Detonation fast schutzlos ausgeliefert gewesen. Bei einer „Luftschutzversammlung“ war die Zivilbevölkerung im April 1945 auf die mögliche Sprengung des gesamten Militärgeländes und damit der dort gelagerten Giftgasgranaten vorbereitet worden. Alle Wohnungen und Ställe sollten mit in Öl getauchten Decken, Fenster auch mit Mehl-Papp, „abgedichtet“ und damit gassicher gemacht werden. Lebensmittel und Futter sowie Kleidung und Wäsche sollten vergraben werden. Geholfen hätte das alles nichts! „Alle Bewohner erkannten die Unzulänglichkeit dieser Vorkehrungen. Man nahm Zuflucht zum lieben Gott“, so ist in der Chronik der Armen Schulschwestern vermerkt.
Schierling und Umgebung waren also Ende April 1945 ein Hotspot tödlicher Gefahr. Die Bevölkerung hatte große Angst. Das Leben von vielen tausend Menschen im Umkreis von etwa 20 Kilometern hing am seidenen Faden. Am 23. April 1945 griffen acht feindliche Flieger das Dorf Schierling an – und es fielen die ersten Bomben. Ein linientreuer Depotkommandant hatte den infernalen Plan, das Munitionsdepot eigenhändig in die Luft zu sprengen. Er ließ eine Gürtelsperre aus 18 Stück 1000-Kilogramm-Sprengbomben in die Wiesen und Felder zwischen Muna, Niederleierndorf, Oberleierndorf und Schierling eingraben. Es gab weitere Fliegerangriffe am 25. April 1945 während der Frühmesse, sowie um 10 Uhr und um 16 Uhr. Die Kirche war in diesen Tagen für Viele ein Zufluchtsort. Der stellvertretende Depot-Kommandant Oberleutnant Keller wurde zur Schlüsselfigur. Er brach zu einer dramatischen Reise auf und traf in der Nacht vom 26. auf 27. April 1945 in Sarching mit den Amerikanern zusammen. Er verhandelte erfolgreich und sagte die kampflose Übergabe des Depots zu. Die US-Streitkräfte befahlen daraufhin, das als „neutrale Zone“ gekennzeichnete Gebiet um Schierling, Paring, Langquaid, Herrngiersdorf, Wahlsdorf und Mannsdorf nicht zu bombardieren oder mit Granaten zu beschießen. An den Kirchtürmen wurden weiße Flaggen gehisst. Die Rettung war geschafft!

Gelbde Schierling Plakat aus dem Jahre 1995

Glück und Dankbarkeit beherrschten die Gefühle der Schierlinger. Bereits am 2. April 1945 war ein Gelübde zur Errettung aus Kriegsnot im Gespräch. Der damalige Pfarrer Franz-Xaver Laubmeier fasste damals in der historischen Predigt zusammen: „In dieser Gefahr haben wir versprochen, Gott durch ein Gelübde unseren Dank zu erweisen, wenn wir gerettet werden. (…) Am 3. März 1946 haben Kirchenverwaltung, Gemeinderat, die Konsultoren der Bruderschaft und alle, die in der Kirche nach dem Gottesdienst anwesend waren, einmütig bestimmt: Wir erfüllen unser Versprechen und Gelöbnis in der Weise, dass wir 50 Jahre lang einen Feiertag und festlichen Gottesdienst mit Opfergang halten.“ Im Jahre 1995 erfolgte auf Anregung des Pfarrgemeinderates eine Verlängerung für 25 Jahre und ein Gedenkstein im geografischen Mittelpunkt des Ortes Schierling wurde aufgestellt.

Gedenken und Dank

Ab diesem Jahr wird das Gedenken zweifach begangen. Am Mittwoch, 27. April, dem Jahrestag der kampflosen Übergabe der Muna an die Amerikaner, wird um 17.30 Uhr am Gedenkstein eine Feier mit Kranzniederlegung stattfinden, zu der die Bevölkerung ebenso eingeladen ist, wie zum ökumenischen Dankgottesdienst am Freitag, 29. April um 19 Uhr in der Pfarrkirche St. Peter und Paul.

Foto:

Das von Prof. Erich Gohl im Jahre 1995 gestaltete Plakat zur Verlängerung des Gelübdes für die Errettung aus Kriegsnot zeigt eindrucksvoll die große Gefahr, in dir sich Schierling und Umgebung Ende April 1945 befanden

Foto: Fritz Wallner