Der Markt Schierling hat mit einer Machbarkeitsstudie die „Kalte Nahwärme“ als treibhausgasneutrale, netzgebundene Wärmeversorgung für das geplante neue Wohngebiet ermittelt

Der Markt Schierling geht beim Klimaschutz und insbesondere bei der Bewältigung der Wärmewende weiter konsequent voran. Das geplante Wohngebiet „Am Regensburger Weg 2“ soll eine treibhausgasneutrale, netzgebundene Wärmeversorgung gekommen. Dazu wurde eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, deren Ergebnis ist, dass dies am besten mit einem „Kalten Nahwärmenetz“ erfolgen kann. Diese sehr klimafreundliche Methode ist eine Innovation, die es bisher im Landkreis Regensburg noch nicht gibt.

Bereits vor einem Jahr bestand im Marktgemeinderat bei einem Workshop weitgehend Einigkeit darüber, dass die Wärmewende kommen muss. Der Nürnberger Professor für energiegerechtes Bauen und Gebäudetechnik, Dr.-Ing. Volker Stockinger, hatte die Fakten und Chancen plausibel dargestellt. Er bekam anschließend mit seinem Unternehmen „Energie Plus Concept“ vom Kommunalunternehmen den Auftrag, mit einer Machbarkeitsstudie im Rahmen der „Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW)“ eine treibhausgasneutrale, netzgebundene Wärmeversorgung für das Neubaugebiet „Am Regensburger Weg 2“ im Norden Schierlings zu untersuchen. Der Bund bezuschusst diese Studie mit 50 Prozent. Bei einer konkreten Umsetzung des Wärmenetzes stellt er außerdem eine Förderung von 40 Prozent der Investitionskosten in Aussicht. Der Verwaltungsrat des Kommunalunternehmens hat bei der Sitzung am 24. Oktober 2022 die Erstellung der Machbarkeitsstudie beschlossen. Der Marktgemeinderat hat der Auftragsvergabe für die Machbarkeitsstudie bei der Sitzung vom 8. November 2022 zugestimmt.

Umwelt soweit wie möglich schonen
„Zeit für Klimaschutz“ hieß es im Napoleonsaal des Bräustüberls bei der Präsentation der Ergebnisse. „Wir sind den Weg über die Machbarkeitsstudie gegangen, weil wir etwas bewegen wollen, etwas Großes umsetzen wollen und dafür vom Bund erhebliche Zuschüsse erwarten“, sagte Bürgermeister Christian Kiendl. Er verwies auf die bereits am 8. Dezember 2020 mehrheitlich vom Marktgemeinderat beschlossenen Leitlinien für das Baugebiet und stellte fest: „Unsere darauf folgenden Schritte sind konsequent. Denn das Beheizen der Gebäude mit fossilen Energien ist im Entwurf des Bebauungsplanes ausgeschlossen worden und mit der vorliegenden Machbarkeitsstudie wird belegt, dass es eine Alternative gibt, die unsere Umwelt soweit wie möglich schont.“

„Agrothermie“ für die Nutzung der Erdwärme

Volker Stockinger sah den aus der Studie hervorgehenden Vorschlag als ein „tolles Projekt für den ländlichen Raum“. Und das Projekt habe auch die Größe, dass es wirtschaftlich umgesetzt werden kann. Er lobte den Markt Schierling für den Mut, diesen Schritt zu gehen. Denn bei der Energietechnik sei zwar die Wissenschaft in Deutschland noch führend, doch müsse es verstärkt auch zur Umsetzung kommen. Projektleiter David Philipp erläuterte die Grundzüge der 58-seitigen Studie. Das Ergebnis sei die Nutzung der Erdwärme und er bezifferte das Energiepotenzial daraus mit  35 Kilowattstunden je Quadratmeter und Jahr. Nach umfangreichen Detail- und Alternativuntersuchungen lautet sein Vorschlag, diese Erdwärme mit „Agrothermie“ zu gewinnen. Dazu werden Leitungen in etwa eineinhalb Meter Tiefe in den Boden eingepflügt. Für die Versorgung des gesamten Planungsumfangs sei eine Gesamtfläche von 37000 Quadratmeter notwendig. Von denen wird ein Teil innerhalb des Baugebietes, und zwar unter dem geplanten Regenrückhaltebecken und Spielplatzes realisiert. Bürgermeister Kiendl ergänzte, dass außerdem bereits mit der katholischen Pfarrpfründestiftung Einigkeit darüber erzielt wurde, dafür ein knapp 14000 Quadratmeter großes Grundstück eintauschen zu können. „Die Diözese Regensburg war dafür sehr aufgeschlossen und dafür sind wir dankbar“, sagte er. Schließlich wird auch über die im Baugebiet verlegten Wärmeleitungen zusätzliche Umgebungsenergie gewonnen und genutzt. Bei der Flüssigkeit in den Leitungen handle es sich nicht um Heizwärme, sondern um eine „Anergie“, also um Energie, die bei einem physikalischen Prozess keine Arbeit verrichtet. „Die Kalte Nahwärme bringt also richtig Energie!“, sagte Philipp.


Einsatz hocheffizienter Wärmepumpen

Die aus der Erde gewonnene Anergie mit relativ niedriger Temperatur wird in die Gebäude geleitet und mit den dort installierten hocheffizienten und nicht mehr hörbaren Wärmepumpen auf die Temperatur für die Heizung und das warme Wasser gebracht. „Auch diese Wärmepumpen sind Teil des Wärmenetzes, werden vom Anlagenbetreiber gestellt und vom Bund bezuschusst“, sagte Philipp. Damit kann man im Sommer die Gebäude auch passiv kühlen, in dem man nämlich in die Fußbodenheizung das kühle Wasser leitet. Man dürfe auf die Ergebnisse der Studie und die dahinter stehende Arbeit stolz sein, sagten Dr. Stockinger und David Philipp. Bürgermeister Christian Kiendl sprach von einem Ergebnis, das „echt der Wahnsinn“ sei. Jetzt hat der Marktgemeinderat das Wort. Er bekommt die Studie ebenfalls erläutert und wird entscheiden, ob die Ergebnisse umgesetzt werden.

Leitlinien

Bereits am 8. Dezember 2020 hat der Marktgemeinderat mehrheitlich Leitlinien für die Planung des neuen Wohnbaugebietes beschlossen. Darin heißt es unter Nr. 8: „Der Einsatz von fossilen Brennstoffen beim Beheizen der Gebäude soll zurückgedrängt werden. Die Größe des Gebietes erlaubt die Prüfung einer zentralen Wärmeversorgung auf der Grundlage von nachwachsenden Rohstoffen. Umsetzbarkeits- und Wirtschaftlichkeitsfragen sind zu klären, ..“

Kalte Nahwärme

Hinter dem Begriff verbirgt sich die Versorgung von Wohnhäusern in Neubaugebieten und Quartieren mit Wärmeenergie, die aus der Umwelt in unmittelbarer Nähe des Gebietes gewonnen wird. Die Temperaturen im Kalten Nahwärmenetz sind dabei deutlich niedriger als bei der bekannten Fernwärme, so dass keine "Lieferverluste", sondern Wärmegewinne mit jedem Meter Rohrleitung entstehen. Mittels einer hocheffizienten Wärmepumpe im Gebäude wird anschließend das gewünschte Temperaturniveau hergestellt. Das Prinzip kann im Sommer auch zum Kühlen der Räume genutzt werden.
Kalte Nahwärme macht sich die konstante Bodentemperatur von ca. 10 Grad Celsius zunutze, die ab einer gewissen Tiefe ganzjährig vorherrscht. Die Erdwärme wird mithilfe von Kollektoren, sogenannten Boden-Klima-Tauschern, gewonnen, die in etwa 1,5 Meter Tiefe in den Boden eingelassen werden. Ein Wasser-Glykol-Gemisch in den Rohrleitungen nimmt die Erdwärme auf und transportiert sie über unterirdisch verlegte Leitungen auf die Grundstücke im Wohngebiet. Im Inneren der Gebäude sorgen Wärmepumpen für einen Temperaturanstieg für Heizung und Warmwasser.

Zusammenfassung der Machbarkeitsstudie mit den wichtigsten Resultaten

Das Kommunalunternehmen Markt Schierling, Anstalt des öffentlichen Rechts, hat die Energie PLUS Concept GmbH aus Nürnberg damit beauftragt, mit einer Machbarkeitsstudie im Rahmen der „Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW)“ eine treibhausgasneutrale, netzgebundene Wärmeversorgung für das Neubaugebiet „Am Regensburger Weg 2“ im Norden Schierlings zu untersuchen. Für die Kosten der Machbarkeitsstudie ist eine Förderung von 50 % bereits zugesagt. Über die BEW-Förderung kann beim Bau des Wärmenetzes mit einer Förderung von 40 % der Investitionskosten gerechnet werden.

Die zentralen Untersuchungserkenntnisse sind nachfolgend stichpunktartig zusammengefasst. 

  • Im Untersuchungsgebiet sind insgesamt 171 Anschluss- und Übergabepunkte an das entstehende Wärmenetz möglich. Davon sind voraussichtlich 93 Einfamilienhäuser, 16 Doppelhaushälfte, 50 Reihenhäuser, 11 Mehrfamilienhäuser und eine Kindertagesstätte.
  • Der Gesamtwärmebedarf beläuft sich auf etwa 1.850 MWh pro Jahr. Diese Wärmemenge teilt sich auf in einen Heizwärmebedarf in Höhe von 1.233 MWh/a und einen Trinkwarmwasserbedarf in Höhe von 617 MWh/a.
  • Die Voraussichtliche Wärmenetz-Trassenlänge beläuft sich auf 4.750 Meter.
  • Im Rahmen der Potenzialanalyse wurde das Erdreich als mögliche Wärmequelle untersucht. Im Baugebiet stehen hierfür 10.500 m² unterhalb des Regenrückenhaltebeckens und des zukünftigen Spielplatzes zur Verfügung. In unmittelbarer Nähe zum Baugebiet sind zwei weitere Agrarflächen interessant, eines mit 14.000 m² und eines mit 12.500 m² Fläche.
  • Das Erdwärmepotenzial ist am Standort Schierling am besten mittels Agrothermiekollektoren (eingepflügte Rohre in 1,5m Tiefe) erschließbar. Kollektormodule sind auch möglich, stehen allerdings in einem schlechteren Kosten/Nutzen-Verhältnis. Laut Erdreichssimulation kann mit einem nachhaltigen Quellwärmeentzug von 35 kWh pro m² im Jahr gerechnet werden. Das Erdreich wird als Wärmequelle empfohlen.
  • Über ein Kaltes Nahwärmenetz sowie die Anbindung der Kollektoren an das Netz kann nochmals Quellwärme bereitgestellt werden.
  • Das Außenluftpotenzial ist zwar theoretisch nutzbar, führt allerdings nicht zu einer Reduzierung der Erdwärmekollektorfläche, da zu Spitzenlastzeiten (im Winter) die Außenluft aufgrund Vereisung der Wärmeübertragerlamellen nicht effizient einsetzbar sind. Die Außenluft wird nicht als Wärmequelle empfohlen.
  • Insgesamt werden für die Kalte Nahwärme-Variante 27.000 m² effektive Agrothermiekollektorfläche benötigt. Die erreichbare Jahresarbeitszahl beläuft sich auf 4,27.
  • Beim Vergleich mit einer zentralisierten „LowEx-Netzvariante“ mit einer höheren Vorlauftemperatur konnte festgestellt werden, dass dafür deutlich mehr Kollektorfläche benötigt wird (37.000 m²) und die Jahresarbeitszahl im Versorgungssystem abfällt. Außerdem entstehen Wärmeverluste und zusätzliche Kostenbelastungen für alle Kunden, was die Warmwasserbereitung betrifft. Die LowEx-Variante wird nicht empfohlen.
  • Der Primärenergiefaktor des Wärmenetzes in der Kalten Nahwärmenetz-Variante beträgt 0,43 und es werden jährlich 140 Tonnen CO2 eingespart, und zwar im Vergleich zu einer Gas-Versorgung mit solarer Heizungsunterstützung. Das entspricht jährlich etwa 25 Erdumrundungen eines PKWs mit 6 Litern Spritverbrauch.
  • Das angestrebte Versorgungskonzept erzielt konkurrenzfähige Wärmepreise und ist dank der BEW-Förderung wirtschaftlich tragbar.

 

Interessante Links

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Fotos:

01: Der Markt Schierling hat zur Wärmeversorgung des geplanten Wohngebietes „Am Regenburger Weg 2“ eine Machbarkeitsstudie erstellen lassen, die Prof. Dr.-Ing. Volker Stockinger (Bildmitte) an Bürgermeister Christian Kiendl übergab. Auf dem Foto außerdem von links Maria Politzka von der KERL eG, Rathaus-Geschäftsleiter Manuel Kammermeier, Projektingenieur David Philipp, Klimaschutzmanager Franz Hien und Ingenieurin Selina Schmitt

11: „Zeit für Klimaschutz“, heißt es beim Markt Schierling. Bürgermeister Christian Kiendl beglückwünschte Projektingenieur David Philipp zu seiner sehr guten Arbeit

16: Bürgermeister Christian Kiendl wies darauf hin, dass der Markt Schierling bereits mit den Leitlinien im Dezember 2020 das Ziel einer umweltfreundlichen Nachwärmeversorgung formuliert hat

Text und Fotos: Fritz Wallner